Klimakrise A2A

Ein guter Freund bat bei LinkedIn um meine Meinung zu diesem Artikel: „Klimaforscher: Zusammenbruch der Zivilisation ist der wahrscheinlichste Ausgang„. LinkedIn beschränkt Kommentare auf 1200 Zeichen, bei einem so facettenreiches Thema gibt es keine angemessene Antwort in 1200 Zeichen. In der hochpolarisierten von beiden Seiten hyperemotional und teilweise gewaltbereit-radikal geführten Diskussion möchte ich den Dingen gerne auf den Grund gehen.

Vorab:

Auch ein Blogbeitrag ist für eine wirklich differenzierte Betrachtung der Lage bei weitem nicht ausreichend. Die Stoffsammlung alleine ist inzwischen länger als dieser Blogbeitrag. Darum muss hier vorläufig eine Zusammenfassung der Zusammenfassung genügen. Sobald die vollständige Fassung in Form eines eBooks fertig ist, wird sie hier nachgereicht.

Zur Sache:

Hinsichtlich einer politischen Einordnung muss man offensichtlich über die Pariser Klimaziele sprechen

Das Gespräch über die Pariser Klimaziele lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Realist: „Das geht nicht.“
Klimaschützer: „Es muss aber irgendwie gehen, sonst… „

Das bringt niemanden weiter. Es ist übrigens auch kein echter Widerspruch, beide können gleichzeitig Recht haben (und haben meiner Meinung nach auch häufig Recht, je nachdem, welche Konsequenzen der Klimaschützer befürchtet).

Aktueller Status zum Pariser Abkommen (verkürzt)

Bei einem Blick auf die globale Lage stellt man schnell fest, dass die Welt in Länder mit radikalem, erfolgreichen Klimaaktivismus einerseits und Länder mit dringenderen Problemen andererseits zerfällt. Das Ganze korreliert stark mit Demokratien einerseits und Diktaturen bzw. korrupten Staaten andererseits – allein aus dieser Mischung heraus halte ich es für unrealistisch, dass die Klimaziele erreicht werden.

Die drei Staaten, die für über 50% der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind (China, USA, Indien), werden ihre Herangehensweise nicht ändern, jedenfalls nicht schnell genug – und sogar wenn diese Staaten ihre Zusagen aus dem Pariser Abkommen erfüllen würden, wären die Ziele immer noch so gesteckt, dass das 1,5°C-Ziel verfehlt würde.

Andere Länder wie die Türkei, Indonesien, Bangladesch, Ägypten, Pakistan, und die Mongolei haben dringendere Probleme zu lösen. Ein Nahrungsmittelengpass in 20 Jahren ist nicht so wichtig wie der Nahrungsmittelengpass „jetzt“.

Erkenntnisse aus der Corona-Krise

Aus wissenschaftlicher Sicht hat uns die Corona-Krise einmalige Erkenntnisse geschenkt, welche Einschnitte wirklich nötig wären, um die Pariser Klimaziele zu erreichen – und auch die für das Jahr 2020 in Summe geschätzten 7% Treibhausgasreduktionen wären, jährlich bis 2030 fortgeschrieben, immer noch bei weitem nicht ausreichend, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.

Auch dadurch wird klar, dass die verfügbare Zeit keinesfalls ausreicht – gleichzeitig sehen wir mit Masken- und Gelbwestenprotesten einen ersten Vorgeschmack, welcher Pushback zu erwarten ist, wenn die Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele zu einschneidend werden.

Ausblick auf die Pariser Klimaziele

Ich sehe drei mögliche Szenarien:

  1. Die Klimakatastrophe tritt erst „später“ ein. Die Natur gibt uns mehr Zeit, der point of no return ca. 2030 ist um ein Jahrzehnt oder so zu früh geschätzt
  2. Die Klimakatastrophe ist praktisch nicht mehr aufhaltbar
  3. Die Klimakatastrophe ist „gerade noch“ vermeidbar

Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage halte ich Szenario drei mit weitem Abstand für das unwahrscheinlichste: Wir werden keine Decarbonisierung der Welt bis 2030 erreichen, nicht einmal annähernd.

Es bleiben Szenario (1) und (2). Für das weitere Argument spielt die Unterscheidung erst einmal keine Rolle, für die Differenzierungen in den Argumenten ist einfach kein Raum. Mehr im eBook, wenn es so weit ist.

Die Bedingungen in der Aussage aus dem angefragten Artikel, „Ein Zusammenbruch ist der wahrscheinlichste Ausgang der aktuellen Fluglinie unseres gegenwärtigen Systems“ ist damit wahrscheinlich erfüllt. Doch wenn der „Zusammenbruch der Zivilisation“ droht, welche Form nimmt dieser Zusammenbruch an? Stimmt es, dass wir „alles zerstören [werden], was wir in den vergangen 2.000 Jahren aufgebaut haben“?

Was bedeutet „Zusammenbruch der Zivilisation“?

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die „Entwicklungsländer“ werden immer wieder thematisiert. Auch wenn nicht alle einschlägigen Behauptungen fundiert sind („Kinder werden sich auf dem Schulhof die Füße verbrennen“) fokussiert doch vieles auf Szenarien, in denen es gerade in den armen Ländern nahe des Äquator zu Lebensmittel- und Wasserknappheit sowie zu Verteilungskämpfen kommen wird, die dann wiederum Migrationsbewegungen auslösen, die die „reichen Länder“ treffen, so dass dort genau die selben Verteilungskämpfe entstehen.

Daraus resultieren großflächig bürgerkriegsartige Zustände mit einer schwer einschätzbaren Zerstörungskraft hinsichtlich der Errungenschaften unserer Zivilisation.

„Folgenabschätzung“ von Klimaschutzmaßnahmen?

Umgekehrt: Ich kenne keine sozialen „Folgenabschätzungen“ für die Klimaschutzmaßnahmen der „Ersten Welt“. Auch die Möglichkeiten und Grenzen für Klimaschutzmaßnahmen in der „Ersten Welt“, zum Beispiel in Europa, müssen betrachtet werden – am Ende beruht die Aussage unseres „Realisten“ oben auch auf diesen Grenzen. Sehen wir, was die Klimaschutzmaßnahmen für die europäische Bevölkerung bedeuten:

Die Menschen im Alltag

Folgende Forderungen stehen im Raum und werden teilweise schon aktiv politisch vorangetrieben:

  • Umstellung der Ernährung auf vegan oder Fleischersatz
  • Reduktion von Wohnraum / von beheiztem Wohnraum / der Heiztemperatur
  • Einschränkungen der Mobilität (hinsichtlich PKW, hinsichtlich Urlaubsgestaltung)
  • Kosten für Energie (z.B. CO2-Bepreisung und EEG-Umlage)
  • Änderungen im Konsumverhalten (längere Nutzungsdauern von Produkten, weniger konsumptive Einkäufe usw.)

Daß die Klimapolitik zu einer Enteignung und Ent-Rechtung der Bürger führt, ist unbestritten. Wie weit die Bevölkerung diese Enteignung und Ent-Rechtung mitträgt, ist unklar.

Der Freibrief dazu ergibt sich aus dem Zitat: „Wir müssen unsere Herangehensweise an das Klimaproblem ändern“1. Das bedeutet im Klartext: wir nehmen keine Rücksicht.

Dabei ist das maximale Zugeständnis an die Belastbarkeit der Bevölkerung der gelegentliche Zusatz, dass das alles sozialverträglich gestaltet werden müsse – doch das verlangt weitere Umverteilung und belastet die Leistungsträger noch stärker. Die Leistungsträger, das sind in Deutschland rund 15 Mio Netto-Nettosteuerzahler2.

Die Arbeitsplätze

Während die Wirtschaft sich neu strukturiert, entstehen die neuen Jobs häufig in anderen Geographien. Ein Beispiel dafür ist die Produktion von Solaranlagen. Sogar ein Grünen-Vordenker sagt, dass „wir mit der Energiewende die globale Lernkurve für Solar- und Windenergie bezahlt haben“3. Ohne die Belastung der deutschen Bürger durch die EEG-Umlage wären die Arbeitsplätze beispielsweise in den chinesischen Solarzellenfabriken so nicht entstanden. Deutschland hatte vor ein paar Jahren drei Solar-Riesen, heute sind sie alle weg. Wenn ein Top-Unternehmen schließen muss, ist es eine Aussage über das Unternehmen, doch wenn drei Spitzen-Unternehmen am gleichen Standort untergehen, scheint der Standort eine Rolle zu spielen.

Die deutsche Kraftwerksindustrie und die Automobilindustrie sind weitere Beispiele.

Gerade aus der Kombination aus Zoonose-Pandemie und Klimaschutzmaßnahmen halte ich erhebliche Arbeitsplatzverluste bis in den Bereich 10%, 15%, 20% Arbeitslosigkeit unter den Netto-Nettoteuerzahlern für möglich. Das Zünglein an der Waage werden politische Entscheidungen sein zum Umgang mit Pandemien ebenso wie zum Klimaschutz oder zu anderen Innovationsthemen.

Im Moment werden Arbeitsplatzverluste von der deutschen Regierung noch mit Subventionen befriedet, bspw. durch 5 Mrd Euro für soziale Härten und 40 Mrd Euro für den Strukturwandel beim Kohleausstieg. Wer im Rahmen des Kohleausstieges 50.000€ bekommt geht nicht mehr auf die Straße. Die nachwachsende Generation wird über 40 Mrd Euro für den Strukturwandel ruhiggestellt. So werden Netto-Nettosteuerzahler in Subventionsempfänger umgewandelt.

Doch irgendwann sind auch die deutschen Kassen leer und können nicht mehr durch weitere Steuererhöhungen aufgefüllt werden. Wenn der Friede gekauft ist, ist er unsicher, wenn die Kassen sich leeren – oder die Unruhen berechen gerade daran aus: wenn die Leistungsträger wieder einmal mehr belastet werden sollen.

Gegenbewegungen

Drei Gegenbewegungen sind bisher beobachtbar:

  • Eine Hinwendung in ganz Europa zu rechtsradikalen Parteien, die neben kontroverseren Themen auch durch ihre Opposition zu radikalem Klimaschutz punkten
  • Migrationsbewegungen ins Ausland
    (am Bekanntesten ist der Akademiker-Exodus aus Deutschland)
  • Proteste wie bspw. die Gelbwesten-Proteste in Frankreich oder die Bauernproteste in Deutschland und den Benelux-Ländern

Auch Begegnungen zwischen den Interessen der betroffenen Bürger und den Interessen der Klimaschützer waren schon mehrfach gewalttätig. Umweltschützer und „Rechte“ stehen sich dabei im Gewaltpotenzial nicht mehr viel nach.

Dieses Szenario ist auch deshalb für die europäischen Länder besonders relevant, weil hier versucht wird, das Wachstum der Emissionen von China, USA, Indien usw. überzukompensieren.

Bürgerkriege in Europa können auch nicht im Interesse der Klimaschutzbewegung sein, denn wenn Europa durch einen Bürgerkrieg wirtschaftlich gelähmt wird, wer kümmert sich dann um die Millionen oder Milliarden von Klimaflüchtlingen?4 China? – Indien? – die USA?

Auch da gilt: Ob ein solches Szenario „der Untergang der Zivilisation“ ist, muss jeder für sich selbst bewerten.

Fazit

„Die Welt“ ist in einem Dilemma: lassen wir den Klimawandel laufen, drohen Bürgerkriege. Werden die Klimaschutzmaßnahmen regional-unilateral überzogen, drohen ebenfalls Bürgerkriege.

Die Aussage „wir werden alles zerstören, was wir in den vergangen 2.000 Jahren aufgebaut haben.“ ist meiner Meinung nach dagegen nicht haltbar. Nicht weil ich glaube, dass sie nicht stimmt, sondern weil ich glaube, dass sich der Ausgang von Bürgerkriegen unserer Prognosefähigkeit entzieht. Das gilt übrigens für beide möglichen Bürgerkriegsursachen. Vielleicht stimmt die Aussage, vielleicht nicht – wir können es einfach nicht belastbar prognostizieren.

Auch wenn die Wissenschaftler sagen: „Keine Menge an ökonomischen Kosten-Nutzen-Analysen wird uns helfen. Wir müssen unsere Herangehensweise an das Klimaproblem ändern“, muss doch die Grenze des Erträglichen in jedem Land auf seine Weise berücksichtigt werden, sonst laufen wir Gefahr, einen katastrophalen Bürgerkrieg „heute“ zu provozieren, um einen katastrophalen Bürgerkrieg „morgen“ zu verhindern.

Für erfolgreiche Politik muss die Realität Vorrang vor der Publicity bekommen, denn die Wirklichkeit lässt sich nicht zum Narren halten

Frei nach Richard Feynman. Gilt in beide Richtungen5

Nachwort

Der Artikel stand jetzt ein paar Tage bei Facebook. Scheinbar muss ich noch einmal von vorne anfangen, denn eine zentrale Wortmeldung war: „Die Menscheheit hat das Geld und die Technologie, der einzige Knackpunkt ist bisher noch fehlender Druck etwas zu ändern.“

Dagegen lautet das zentrale Argument hier: Was Europa tut, spielt keine Rolle – die Entscheidung fällt, so oder so, in China, den USA, Russland und Indien. Mein Argument ist nicht Geld oder Technologie (darüber könnte man auch noch einmal reden), sondern Politik. Globale Machtpolitik.

Und ungefähr gleichzeitig fiel mir dieser Artikel über kognitive Dissonanz in die Finger. Das scheint es zu sein: Beide Erkenntnisse, „Konsequenzen des Klimawandels“ einerseits und „wir kriegen das Ruder nicht schnell genug herumgerissen“ andererseits sind – meiner Meinung nach – wahr, aber in ihrer Konsequenz so schrecklich, dass die meisten Menschen die eine oder die andere verleugnen, ablehnen, wegrationalisieren, irgendwas.

Wer selbst schon viel in Klimawandel-Vermeidung investiert hat (z.B. das Auto durch ein e-Auto ersetzt, Veganer geworden ist oder die Wohnfläche verkleinert hat) hat eine noch viel höhere Hürde dabei, den Gedanken „es ist aussichtslos“ auch nur zuzulassen. (Er kann ja richtig sein oder nicht – aber man sollte ihn ohne selbst-Zensur denken und evaluieren können.)

Dabei ist die rationale Antwort einfach: Wenn wir es nicht (mehr) verhindern können, müssen wir uns vorbereiten.

  1. „Keine Menge an ökonomischen Kosten-Nutzen-Analysen wird uns helfen. Wir müssen unsere Herangehensweise an das Klimaproblem ändern.“, Artikel in der nature, zitiert in utopia.de: „Klimaforscher: Zusammenbruch der Zivilisation ist der wahrscheinlichste Ausgang„, datiert: 13. Juli 2020, abgerufen am 16.7.2020
  2. Wenn wir uns zugleich vor Augen halten, dass es in Deutschland 27 Millionen Nettosteuerzahler gibt, von denen wiederum 12 Millionen beim Staat beschäftigt sind, landen wir bei rund 15 Millionen Menschen, die in Deutschland das Gemeinwesen tragen.“ – manager magazin, „Renten sichert man nicht durch mehr Umverteilung!„, datiert 28.8.2018, abgerufen am 16.7.2020
  3. WELT: „Kohleeinstieg statt Klimaschutz„, datiert 30.12.2019, abgerufen am 16.7.2019
  4. Das Szenario „wir führen den wirtschaftlichen Zusammenbruch Europas absichtlich herbei, weil es der wirksamste Weg ist, um Treibhausgase zu reduzieren“ unterstelle ich bestenfalls irrelevanten exotischen Rand-Splittergruppen.
  5. Das gilt sowohl für Klimaschützer, die dazu neigen, die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Realitäten zu ignorieren, als auch für die sogenannten „Klima-Leugner“, die vor den Erkenntnissen der Klimawissenschaftler die Augen verschließen.