„Das“ Virus – Person oder Sache?

Ein Radiobeitrag zum Thema „Ethik und Infektion“ hat mich zu einem interessanten Gedanken inspiriert:

Für mich gibt es keine „Schuld“ an einer Infektion. SARS-CoV-2 ist ein Virus, ein Ding. Ein Virus hat keine Absicht und kein Ziel, ebenso wenig wie ein Fluss der bergab fließt. Was keine Absicht und kein Ziel hat, schreibt offensichtlich auch nichts und niemandem eine Schuld zu.

Wenn man daran die ganze Diskussion misst und jede Frage darauf zurückführt lösen sich viele ethische Fragen von alleine auf.

Mit Schuldzuschreibung: „Ich habe doch gar nichts getan, warum darf ich mein Geschäft nicht öffnen?“ – „Stimmt, eigentlich kannst Du nichts dafür. das Geschäft zu öffnen ist zwar gefährlich, aber ich kann Dich dafür nicht bestrafen. Du darfst wieder öffnen.“

Ohne Schuldzuschreibung: „Ich habe doch gar nichts getan, warum darf ich mein Geschäft nicht öffnen?“ – „Stimmt, Du kannst nichts dafür. Aber das Geschäft zu öffnen ist gefährlich, also bleibt es zu.“

Es ist völlig menschlich, Viren und Flüsse und alles mögliche zu personifizieren („der Sommer meint es gut mit uns“ – da ist ja sogar „der Sommer“ selbst eine Abstraktion), aber es ist inhaltlich trotzdem falsch, genau so wie die schräge Verknüpfung zwischen „Infektion“ und „Schuld“. Das wird aus der Umgangssprache nie verschwinden, und doch sollten wir uns darüber klar sein, dass es eigentlich kindisch ist.

Und wer geschluckt hat, dass das Virus personifiziert wird, der akzeptiert dann auch Verknüpfungen wie „chinesisches Virus“ oder „Virus des weißen Mannes“. Niemand käme auf die Idee, einen „Fluss des weißen Mannes“ zu diskutieren, der nur für weiße Männer fließt (was tut er denn für alle anderen???). Nur indem dem Virus eine Absicht zugeschrieben wird, kann es auch instrumentalisiert werden, wie es beispielsweise Donald Trump mit dem Begriff des „chinesischen Virus“ tat um damit von seinen eigenen Versäumnissen abzulenken.

Es gibt kein „chinesisches“ Virus, Mr. Trump.
Wo waren wir?
Ach ja, sie haben die Bedrohung verpennt. Bitte lenken Sie nicht ab.

Das Interview mit seiner Unterstellung von Schuld und Rassismus beschäftigt sich mit philosophischen Konstrukten, die nicht in der Wirklichkeit geerdet sind. In der Wirklichkeit geerdet ist: Das Virus ist ein DING. Es hat keine Absicht und kein Ziel. Das wäre – meiner Meinung nach – ein nützlicher Gedanke, aus dem man viele ethischen Antworten ableiten kann.


Link zum Radiobeitrag: „Negativ oder positiv? Der infizierte Mensch aus ethischer Sicht“ – SRF2.