Da niemandem so krass und gewalttätig Fehler vorgeworfen werden wir der FDP betrachten wir das nochmal genauer. Zunächst: aus Sicht der FDP gibt es eigentlich ZWEI Entscheidungen. Die erste ist, Kemmerich überhaupt zur Wahl zu stellen, die zweite ist, ihn zu wählen. (Eigentlich müsste man noch genauer hinschauen und das Ganze aus der Sicht jedes einzelnen Abgeordneten betrachten, aber dann wird’s irgendwann unübersichtlich.)
Schauen wir mal auf die Frage: „Kemmerich aufstellen oder nicht“.
(1) Der richtige Kontext
Der Kontext ist die politische Situation in Thüringen und auch in Deutschland. Da kann man Bücher drüber schreiben, bemerkenswert ist allerdings, dass die extreme Feindseligkeit der AfD gegenüber auch zum Kontext gehört.
Kontext ist auch der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab. “
Zum „Kontext“ gehört auch der Brief von Höcke an CDU und FDP und etliches mehr, und dass im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit genügt.
(2) Umsetzbare Alternativen
Selbst umsetzen konnte die FDP zwei Möglichkeiten: Einen Kandidat aufstellen, oder eben keinen Kandidat aufstellen. Bei genauerem Hinsehen könnte man noch über die Person des Kandidaten nachdenken, aber weder mit den Informationen vor der Wahl noch mit der Kenntnis der Ereignisse nach der Wahl gibt es Grund zu der Annahme, dass die Person eine Rolle gespielt hat, also schauen wir nicht genauer hin.
Wir kennen also zwei Alternativen, mehr Möglichkeiten hat die FDP im Vorfeld der Ministerpräsidenten-Wahl nicht.
(3) Zuverlässige Information
Die wichtigste Information, die eine Rolle gespielt hat, war: Die Linke stellt einen Kandidaten, die AfD stellt einen Kandidaten. Es gibt keine weitere Kandidaten. Auch die Sitzverteilung im Landtag ist klar.
(4) Klare Werte und Kompromisse
Die FDP ist die Anti-extremistischste Partei, die Deutschland hat. Einen Extremisten zu unterstützen, egal ob rechts oder links, passt nicht ins Konzept der FDP.
Nummer (5) vorgreifend: Die beste erreichbare Annäherung an dieses Ziel ist die Haltung „lieber akzeptieren wir, dass Extremisten einen Demokraten wählen, als dass wir Demokraten dazu zwingen, einen Extremisten zu wählen.“ Das ist die beste verfügbare Annäherung an die Werte der FDP.
(5) Korrekte logische Schlussfolgerungen.
Aus der Mehrheitskonstellation im Landtag und den gemeldeten Kandidaten ergibt sich, dass ohne einen Kandidaten der FDP die Demokraten im Thüringer Landtag entweder durch Tat oder durch Unterlassung einen extremistischen Kandidaten unterstützen (wahlweise Ramelow oder Kindervater). Um dieses Dilemma zu vermeiden, kann die FDP zwischen zwei Alternativen wählen (siehe Punkt 2) und selbst einen Kandidaten aufstellen.
(6) entschlossenes Handeln
Die FDP hat einen Kandidat aufgestellt.
So betrachtet war die Entscheidung der FDP allgemein und von Herrn Kemmerich im Besonderen, zu kandidieren, völlig OK. Man mag bei einzelnen Bewertungen anderer Meinung sein (vor allem bei „lieber wählt die AfD einen Demokraten als dass die FDP dazu gezwungen ist, links zu wählen“), doch das liegt im Auge des Betrachters. Nur wenn man die unrealistische Alternative „weder AfD noch Linke“ mitnimmt erscheint die Entscheidung falsch – doch diese Alternative gab es nicht bzw. wurde durch die Kandidatur von Kemmerich erst geschaffen.
Der große Denkfehler
Die typische Unterstellung an die FDP, sie hätte durch die Aufstellung des Kandidaten Kemmerich einen Fehler gemacht, macht implizit eine der folgenden Annahmen:
- es wäre besser gewesen, wenn die FDP-Abgeordneten Bodo Ramelow unterstützt hätten (durch Wahl oder durch Unterlassung).
Selbstverständlich ist das die Haltung von Rot-Rot-Grün. Ramelow ist schließlich ihr Kandidat. - Die FDP ist „schuld daran“, dass Kemmerich mit den Stimmen der AfD gewählt wurde.
Die Abgeordneten der AfD haben frei und geheim gewählt. Mir ist – jenseits von Spekulationen – kein Hinweis darauf bekannt, dass die FDP in irgendeiner Weise auch nur versucht hat, auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten anderer Fraktionen Einfluss zu nehmen.
Die FDP ist „Schuld daran“ in dem Sinn, dass sie Kemmerich zur Wahl gestellt haben, in genau der gleichen Weise wie die Linke „schuld daran“ ist, dass Ramelow zwei Stimmen jenseits der 42 Rot-Rot-Grünen Sitze im Landtag bekommen hat.
Kemmerich hätte die Wahl ablehnen müssen
Das ist eine separate Entscheidung und wird separat analysiert.
Fortsetzung folgt.